Original von http://www.tages-anzeiger.ch/ztip/roman5.htm. Folge 5: Im Schilf 1 : 0 für den Futon «30?» Fabio Hippin steht auf dem Treppenabsatz und zieht kräftig an Sophies Futon. «Schon!» «Noch nicht ganz.» David schiebt die Matte von unten hoch und verflucht sich, dass er sein Alter geoutet hat. «Erst in ein paar Monaten.» Hip biegt mit dem Kopfende des Futons zügig in die nächste Treppe ein. «Haben Leute in deinem Alter nicht drei Kinder und ziehen in ein Haus?» Das Fussende wabert hoch, und David stolpert ihm eilig nach. «He! Pass doch auf!» Ein gezielter Griff in die Schachtel «Schlafz.», und Hip wirbelt eine gelbe Blackcurrant-Büchse durch die Luft, die er mit einem Hechtsprung auf den Futon geschickt wieder auffängt. Er rollt sich auf den Rücken und schickt ein David-Hasselhoff-Lächeln zu Sophie hoch. «Du?! Wollen wir die Lustwiese nicht ein bisschen einweihen?» Sophie prüft gerade, wie sich ihre Heiligenbildchen an der Wand machen. Schon ein bisschen gäch, findet sie, wenn Jesus ihr Kissen anschmachtet. Hip schüttelt die Büchse, als würde er zu Tisch läuten. Doch da rasselt nichts. Sophie lächelt fast so scheinheilig wie Jungfrau Maria. Gut, denkt sie, habe ich die Pariser im Necessaire gezügelt. Hip steckt die Büchse in seine Hosentasche und steht auf. «Dein Room Mate hat sicher die halbe Condomeria im Haus . . .» Ein Seitenblick auf Maria, und er zwinkert Sophie zu. «Such schon mal eine Augenbinde!» David sitzt inmitten von Schräubchen, Holzzäpfen und Vierkantschlüsseln auf seiner Matratze und müht sich damit ab, ein paar Fertigbauteilen das Aussehen eines Schrankes zu geben. «Ikea, hm?» Hips Augen blitzen fröhlich. «Wie heisst denn das Teil? Vielleicht ?» David lacht unsicher. «Findest Du das stier?» Hip zuckt die Schultern. «Hat halt jeder, irgendwie. Und bei diesen Gebrauchsanweisungen kommt auch kein Schwein draus.» Er setzt sich auf die Matratze, die einsam auf dem Parkett liegt. «Im Brocki sind die Dinger billiger und haben erst noch mehr Style . . .» David mustert die schwarzlackierten Bretter kurz, dann zieht er langsam seine Hände zurück. Schrank «Spiessör» fällt krachend in sich zusammen. «Ich stell' ihn glaub in den Estrich. Für alte Kleider und so.» «Du, sag mal: Hast Du schon alles gezügelt?» David kraust die Stirn. Hab ihm doch schon gesagt, wundert er sich, dass ich mein Zeug erst nächste Woche hole, weil Jacqüline dann in Davos ist. «Ich mein' . . .» Hip versucht, seine Stimme so normal wie möglich klingen zu lassen, «...auch die Pariser und so?» «Weisst Du, sowas brauch' ich nicht mehr, in meinem Alter . . .» Sophie fliegt gerade mit John Irvings Dr.Daruwalla nach Bombay, als Davids Stimme sie auf den harten Futon zurückholt. «Ich ruf den Pizza-Kurier an. Willst du auch etwas?» David streckt seinen Kopf durch den Türspalt. «Ist noch ein Netter, dein Fabio!» «Das ist nicht mein Fabio.» Sophie knickt ein Eselsohr in die Seite und legt das Buch weg. «Das ist einfach ein Fabio.» «Er hält mich glaub für einen alten Sack.» «Ach, der... Kommt doch eh nur drauf an, wie man sich fühlt.» «Ich fühl' mich aber auch alt», seufzt David. «Ich kann diesen Techno nicht ausstehen, bin in jeder Bar entweder zu jung oder zu alt und kenne nicht einmal mehr die Namen der Radio-24-Moderatoren.» «Aber dafür die von DRS1?» Sophies tiefes Lachen ist ansteckend wie der Grippevirus. «Komm... Das ist doch bloss wegen diesem Scheiss-Hochnebel. Wir schieben im Moment alle unser Depressiönli!» Sie schnappt sich die Pizza-Karte. «Weisst Du was? Meine Eltern haben eine Wohnung in Arosa. Da könnten wir doch am Wochenende hingehen und aufs Nebelmeer spucken.» Sophie schwankt noch zwischen Quattro Stagioni und Padrone. «Hast Du verdient, fürs Zügeln...» Hip wird schön enttäuscht sein, wenn sie den Arosa-Trip abbläst. Aber das aufziehende Hoch auf Davids Gesicht gibt ihr sofort wieder ein gutes Gefühl. Abgesehen davon lässt sie der Typ erotisch so kalt, dass sie die Blackcurrant-Büchse für einmal getrost im Unterland lassen kann. «Shit.» Sophie schaut sich um. Wo ist die Büchse denn bloss?